Gesellschaft CJZ Minden e.V.
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden e.V.
Leiterstr. 17
32423 Minden
Fon 01 60 / 50 56 97 4
E-Mail: nina_pape@gmx.de
Homepage www.gcjz-minden.de
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden e.V.
Leiterstr. 17
32423 Minden
Fon 01 60 / 50 56 97 4
E-Mail: nina_pape@gmx.de
Homepage www.gcjz-minden.de
Es sind mittlerweile fast drei Monate vergangen, seit wir im September hier gelandet sind. Seit meinem letzten Update vor zwei Monaten hat sich einiges geändert. Der Lockdown ist seit dem 18. Oktober wieder etwas gelockert, sodass ich am 19. Oktober anfangen konnte im Archiv zu arbeiten. Man darf die Wohnung wieder auf mehr als 1000 Meter verlassen, sodass wir endlich die Möglichkeit haben, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden.
Nach einem Monat Lockdown fiel es der ganzen sechsköpfigen WG schwer, die gute Laune zu behalten. Drei von uns durften schon während des Lockdowns, direkt nach Sukkot, anfangen zu arbeiten, während wir anderen drei noch immer zu Hause saßen. Die Freiwilligen, die in Kindergärten, Schulen oder Altenheimen arbeiten, galten als essentiell und durften deshalb früher anfangen. Mein Archiv und auch das Institut und das Museum, wo die anderen zwei arbeiten, durften erst nach der Lockerung des Lockdowns wieder den Betrieb aufnehmen.
Somit trat ich am 19. Oktober dann meinen ersten Tag als Freiwillige im Zentralarchiv für jüdische Geschichte an. Zu Beginn beschränkten sich meine Aufgaben auf das Abtippen von Gemeindebucheinträgen aus dem 17. und 18. Jahrhundert und hin und wieder das Scannen von Seiten, da ich noch nicht vollständig eingearbeitet war und meine Ansprechpartnerin nur an zwei Tagen in der Woche im Archiv war. Glücklicherweise konnte ich bald mit meiner eigentlichen Aufgabe anfangen.
Das Archiv lagert die Fallakten der Wiedergutmachungsprozesse in den 1950er bis 1970er Jahren. Dabei gab es unterschiedliche Organisationen, die sich um die Überlebenden oder ihre Nachfahren kümmerten und ihnen für einen Bruchteil des normalen Preises einen Anwalt zur Verfügung stellten. Die ASF-Freiwilligen arbeiten schon seit mehreren Jahren an der Katalogisierung der Akten der URO – United Restitution Organization. Ich führe diese Aufgabe also nun fort. Ich arbeite mich Kiste für Kiste, Akte für Akte vor und trage Informationen, die eventuell von Forschenden gesucht werden könnten, in eine Excel-Tabelle ein, wie Namen der Klagenden und der geschädigten Person, was genau eingeklagt wird und den zuständigen Richter. Daneben erledige ich noch weitere Aufgaben ähnlicher Natur, die mir von verschiedenen Kollegen übergeben werden.
Mir macht die Arbeit im Archiv großen Spaß. Es ist extrem interessant, sich mit so alten Dokumenten zu beschäftigen und vor allem die Originale in den Händen halten zu können. So arbeite ich beispielsweise derzeit an einer Privatsammlung aus dem 19. Jahrhundert, was bedeutet, dass die meisten Dokumente, deren Kurrentschrift ich entziffere, 150 bis 200 Jahre alt sind. Ich erschrecke mich jedes Mal aufs Neue, wenn auf einem Briefkopf eine Jahreszahl vor 1830 steht und ich finde sogar Gefallen an der Einsamkeit, die ein eigenes Büro und ein fast leeres Archiv mit sich bringen.
Sogar die offene Altenarbeit konnte ich ziemlich bald nach meinem Arbeitsstart im Archiv anfangen. Ich besuche zwei ältere Damen jeweils einmal pro Woche. Beide sind unglaublich lieb. Sie beide beeindrucken mich bei jedem Besuch wieder mit ihrer Stärke. Eva ist 96 Jahre alt, zwar schon etwas zerbrechlich und vergesslich, aber noch sehr gut auf den Beinen. Sie wuchs in Breslau auf, wurde mit einem Kindertransport nach England gebracht und wanderte dann von dort nach Chile aus, wo sie ihre Eltern wieder traf und so die Shoa überlebte. Pnina ist 90 Jahre alt und noch unglaublich aktiv. Sie lebt komplett alleine und kümmert sich um alles selbst: Putzen, Einkaufen, Kochen und sogar Brot backen. Sie hat eine sehr tragische und dramatische Kindheit in Rumänien hinter sich, wo sie sich in verschiedenen Ghettos mit ihrer neunköpfigen Familie durch die NS-Zeit kämpfte und wie durch ein Wunder mit allen anderen gemeinsam überlebte. Beide sind so wunderbare und positive Personen. Ich freue mich immer wieder sie besuchen zu können.
Auch ansonsten habe ich mich sehr gut eingelebt. Ich kenne mich immer besser in der Stadt aus und auch das Leben in der WG hat sich eingependelt. Jeder kocht für sich selbst, aber wir sitzen trotzdem noch oft abends zusammen. Auch wenn mich die Menge an Menschen in dieser WG häufig überwältigt, gefällt es mir hier zu leben. Wir sind alle im Alltag angekommen und genießen einen Tag nach dem anderen in diesem so anderen Leben. Ich schaffe es sogar an einem Online-Hebräischkurs teilzunehmen, was mir ungemein beim Erlernen der Sprache hilft.
Nachdem nun schon ein Drittel meiner Zeit in Israel vorüber ist, bleibe ich dabei: Es war die richtige Entscheidung, an diesem besonderen Freiwilligendienst teilzunehmen.
Liebe Grüße aus Israel
Janne