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Gesellschaft CJZ Minden e.V.

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März 2022

Shalom aus Leipzig!

Ich bin nun schon seit vollen 6 Monaten wieder in Deutschland. Ich lebe ein komplett anderes Leben als noch vor 7 Monaten. Ich lebe mittlerweile in Leipzig und studiere Kunstgeschichte im Bachelor. Ich lebe alleine in einer kleinen Wohnung und bin sehr glücklich damit.

Ich vermisse vieles aus dem Leben in Israel.
Die letzten drei Wochen dort im August waren gefüllt von Abschieden und letzten Malen (für´s erste). Ich war viel unterwegs und habe noch viel unternommen. Dann mussten wir unsere Wohnung auf Vordermann bringen, was uns gute zwei Tage gebraucht hat. Und dann blieb nur noch das Ausreiseseminar übrig.

Das Seminar war, glaube ich, für uns alle schwierig. Man sagt der Gruppe, mit der man das ganze letzte Jahr verbracht hat, auf Wiedersehen. Man versucht im Moment zu sein und die letzten Stunden dort zu genießen, aber ich zumindest war mit den Gedanken schon in Deutschland. Ich hatte meine Eltern, Schwester und Freunde 12 Monate nicht gesehen und vor allem meine Familie schmerzlichst vermisst. Sobald wir aus der Wohnung raus und auf dem Weg zum Seminar waren, war für mich das Jahr vorbei. Die vier Tage vom Seminar fühlten sich an wie eine ungewollte Pause im Theater.

Wir sind spät abends geflogen, ich glaube der erste Flieger ging um kurz vor 1 in der Nacht. Vorher hatte Azmi, ein Mitarbeiter des Gästehauses, in dem wir immer unsere Seminare hatten, ein letztes Mal Falafel für uns gemacht. Die Rückreise war sehr lang, oder fühlte sich zumindest so an. Wir hatten beinahe fünf Stunden Aufenthalt in Istanbul und ich bin die komplette Zeit durch den Flughafen getigert, weil ich nicht schlafen konnte und als Zeitvertreib einen McDonalds gesucht hab (es gab keinen). Letztendlich bin ich gegen 11 Uhr morgens mit meinen Eltern und meiner Schwester aus dem neuen Berliner Flughafen getreten, das erste Mal seit 12 Monaten auf deutschem Boden. Nur ein paar Stunden Autofahrt später war ich wieder in Minden. Es war ein komisches Gefühl ein Jahr weg gewesen zu sein, ein anderes Leben gelebt, sich verändert zu haben, aber die Heimatstadt ist noch genauso wie vorher. Man kehrt in sein altes Leben zurück, aber das alte Leben gibt´s nicht mehr.

Der September war hektisch mit Wohnungssuche in Leipzig, Umzug und Studienstart. Außerdem traf ich nach und nach den Rest meiner Familie und Freunde wieder.
Der September fühlte sich nicht wirklich real an. Mein Körper war in Bewegung, hat mein Leben in Schwung gebracht, aber mein Hirn und Herz waren irgendwie noch in der August-Wärme von Jerusalem. Gleichzeitig war es, als wäre das Jahr nie gewesen, nie passiert. Von einem Tag auf den anderen war ich wieder in meiner alten Umgebung, mit meinen alten Freunden und keiner kannte die Leute, mit denen ich das ganze Jahr in Israel verbracht hatte. Ich habe meine beiden Mitbewohnerinnen erst im Dezember bzw. Januar wiedergesehen und es war extrem komisch, von man-sieht-sich-jeden-Tag zu man-sieht-sich-vielleicht-alle-zwei-Monate-wenn‘s-hoch-kommt zu gehen.

Ich hab, seit ich wieder da bin, viel über mein Jahr in Jerusalem gesprochen, ich hab ja auch viel erlebt. Manchmal fühl ich mich ein bisschen komisch, wenn ich wieder mit so einem “also als ich in Israel war…” ankomme, aber letztendlich spreche ich einfach extrem gerne drüber.
Ich wurde auch häufig gefragt, ob ich irgendwas an dem Jahr ändern würde, vielleicht Sachen herausstreichen. Ich antworte jedes Mal mit Nein. Ich bereue nichts an diesem Jahr und würde es genauso nochmal leben, wenn ich es könnte. Natürlich gab es Höhen und auch extreme Tiefen, aber ich habe aus all dem gelernt, bin stärker und erwachsener daraus hervor gegangen.
Direkt nach der Schule für ein Jahr ins Ausland zu gehen war die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können und wir hatten so unglaubliches Glück, mit Corona und allem trotzdem pünktlich einreisen zu können. Ich beneide keine/n meiner ehemaligen Mitschüler/innen für ihre Zeit zu Hause, ihren Studienstart aus dem Kinderzimmer und schätze mich extrem glücklich, stattdessen diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen.

Gerade jetzt im kalt-nassen deutschen Winter vermisse ich Jerusalem sehr. Ich vermisse die Arbeit im Archiv und mit meinen alten Ladies. Ich verfolge neidisch die Social-Media-Posts unserer Nachfolger und hake hin und wieder bei Inka nach, wie es im Archiv läuft.

Die Arbeit im Archiv ist mit eine meiner liebsten Erinnerungen. Ich hatte solch einen Spaß daran die unterschiedlichen Facetten der Archivarbeit kennenzulernen und behalte die Archivarbeit weiterhin im Hinterkopf als einen möglichen Weg meiner Zukunft. Ich habe in den letzten paar Wochen im Archiv einen Artikel über eine meiner Privatsammlungen geschrieben, der bei einer Zeitschrift (Segula), mit der das CAHJP eine Kooperation hat, bereits auf Hebräisch veröffentlicht wurde und in der nächsten englischen Ausgabe auf Englisch erscheint. Ich bin einfach sehr aufgegangen in der Archivarbeit, auch wenn das Ganze auf Außenstehende oft öde wirkt.

Ich werde die Erfahrungen, die ich in Israel machen durfte, den Rest meines Lebens in mir tragen und aus ihnen zehren. Hoffentlich kann ich diesen Sommer für ein paar Tage zurückkehren, aber das steht noch in den Sternen.

Ich bin froh diesen Blog geschrieben zu haben, es ist eine Art durchgehende Dokumentation meines Jahres geworden und ich hoffe es war auch angenehm zu lesen.
Damit verabschiede ich mich und widme mich meiner Zukunft.
Bleibt alle gesund.

Janne